Lyrisches von Helmut Maier

Kategorie: Neue Maier-Lyrik (Seite 7 von 15)

Das wahre Leben

Die Asterchen, die roten, die feinen,
ich liebe sie,
sind sie auch angebunden
an eine Rosenstaude, eine gelbe
(ist”˜s das, was so entzückt?)

Auf jeden Fall ist es das volle Leben
der vielen, vielen Wildbienen.
Es ist ein richtiges Gewusel
und wenn schon eine auf der Blüte sitzt,
wenn noch die andre erst im Anflug ist,
so schwirren beide auf.

Wo doch so viele Blüten
zur Auswahl sind.

Ich liebe sie,
sie sind so vorsichtig
und keine will
die andre stören.

Ich liebe sie so sehr!

Deutschland im Mittelalter

Wir befinden uns wieder
im Mittelalter.
Wir glauben ”“ nicht: wir wissen –
dass Russland die Sanktionen
nicht überleben
kann.

Wir glauben ”“ immer noch –
dass Russland besiegt
werden kann,
wenn wir die entsprechenden Mittel
bereitstellen,
koste es, was wir uns
nicht leisten können.

Denn unsere Gesellschaft
wird immer ärmer, wenn
wir die Superreichen
nicht mitzählen.

Wir glauben ”“ immer noch –
dass wir die Guten sind,
dabei verletzen wir die Rechte
der Ärmsten im Land und verstehen nicht,

warum die Staatsfeinde davon profitieren.

Wir glauben ”“ und das immer noch –
dass wir das überleben
werden,
denn
in unseren Augen ist Putin
der Teufel in Menschengestalt
und den heißt es zu besiegen,
auch wenn die Weltlage
sich völlig verändert hat.

Und wir glauben ”“ und wirklich widerspricht das der Lage –
dass der Kapitalismus
den Menschen das Himmelreich verspricht
und wollen wir das immer noch glauben?

Oder


Wir kämpfen nicht.
Nein, wir geben Geld
und Waffen
und Kriegsgerät
in die Ukraine.

Oder: wir sind
nicht Antisemiten,
wir sind fürs Recht
auf Siedlungsbau,
das Palästinenser*innen
nicht haben
im Heiligen Land.

Oder wir beziehen
Gas aus Katar,
russisches Gas aus Indien,
Fracking-Gas
aus USA,
das nicht aus Deutschland stammen darf.

Oder, oder, oder …

Friedlich?

So friedlich.
Die Felsengipfel am nahen Horizont
in rotem Glanz.
Alpenglühen.
Immer wieder und
neu belebend
jedesmal.

Friedlich?
Als könnte es ewig so bleiben?
Wenn wir Menschen es
wirklich wollen
und nicht nach Vergeltung rufen,
wo wir Vergebung brauchen,
dann vielleicht
nach menschlichem Ermessen.

Aber nicht so,
wie es gegenwärtig aussieht,
so feindlich,
so auf Profit versessen,
ja: Profit von wenigen,
die uns glauben machen wollen,
dass wir auch „was hätten davon“.

Nein, so nicht.

Schwalben und Bergspitzen

Wir sitzen auf dem Balkon.
Vor uns eine Bergkette
mit schroffen Bergspitzen.
Eine Nebelkette lagert sich
den Bergen entlang
waagerecht ab,
bildet die Silhouette
der Berge dahinter
fast völlig nach.

Vor der Bergkette
weitere Berge und Hügel,
das Land noch davor
erfüllt durch die Schar
von eifrigen Schwalben,
die ihre Flugkunststücke
prächtig vorführten.

Ihre Schattenrisse
füllten die Fensterrahmen und Wände
neben dem Balkon, auf dem wir saßen:
so friedlich alles.

Noch einmal

Noch einmal dieses Jahr
erwarten wir wärmere Tage.
Im Urlaub vielleicht.
Im Nachgeben gegen die Müdigkeit.
Im Aufstehen jeden Tag
mit dem Bewusstsein:
Heut packen wir’s.
Heut‘ ist der Höhepunkt
unserer Reise.

Noch einmal
will ich es spüren:
dieses Kribbeln im Bauch.
Geschafft:
Es wird so schön,
wenn man sich gehen lässt,
ohne Verzicht auf das Leben.

Dieses Leben,
das uns bewirkt,
das uns birgt,
das uns neu belebt,
das uns stärkt,
das uns stärker macht,
das uns auf später vorbereitet,
wann es wieder heißt:
Noch einmal.

Wieder Wegwartenzeit

S’ist wieder Wegwartenzeit.
Blau lächeln die Blüten uns an.
Sie wollen uns sagen:
He, wir warten
euch auf,
was der Herbst uns verspricht:

Goldene Zeiten,
vermischt mit Blau,
eingesponnen in
Olivenzweige,
noch saftig grün,
gehen langsam über in
mediterrane Töne,

klingen auch
schon in silbernen Klängen,
machen Spaß, gelassenen Spaß,
versprechen Ruhe
und Stille und lassen
die Hektik der Jagd
auf Güter im
vergehenden Gartengewirr
verschwinden.

Denn kaum ist Herbst,
drohen schon winterlich
herbe Stürme; doch
sollen sie nicht mehr Schaden
verursachen, will ich.
Denn im Frost dann
liegt wirkliche, häusliche
Ausgeglichenheit.

Und wir erwarten sie heiter.

Wetterwechsel

Heute morgen
ein paar Tropfen auf unserer Terrasse.
Sie hielten mich davon ab,
den Tisch und die Stühle
unter die Birke zu stellen
fürs Frühstück.

Nun aber ist wieder blauester Himmel;
der Regen hat sich laut Wetterbericht
ganz nach Norden des Vorhersagebereichs
verzogen (wie eigentlich vorhergesagt).

Meine Tochter und mein Enkel
sind auf der Reise in die Normandie.
Wie wird es ihnen gehen?
Jedenfalls wartet
der Mont St. Michel auf sie
und ich träume
in Erinnerung!

Spuren

Ach, hinterlasse ich keine Spuren
an diesem Tag
auf dieser Welt?

Kein Mensch
und kein Tier
und keine Pflanze
hinterlässt keine Spuren
auf dieser Welt.

Warum also sollte ich mich
grämen,
dass ich keine Spuren hinterlasse,
jetzt und wenn ich gestorben bin?

Dass keine literarischen Spuren
möglicherweise
bleiben von mir,
gelesen werden von anderen Menschen,
warum sollte ich mich da
grämen?

Aber schade wäre es doch.

Wirtschaftswunder

Wirtschaftswunder?
Ging es nicht (auch) darum,
einen Wirtschaftsraum
für den Absatz amerikanischer Waren
zu eröffnen?

Und so kamen Kaugummis
und Jeans
und Nylonstrümpfe
und Demokratie
und was immer das Herz
an US-Warenströmen begehrte
besonders nach Deutschland
und natürlich auch
nach Frankreich und Italien und so weiter,
ach ja (Gott sei Dank!)
auch der Jazz.

Und die spätere
Entwicklungshilfe
aus Europa
nach Afrika
und vielleicht auch nach Asien
und Südamerika?
Sie brachte
abgelegte und gesammelte Kleider zu den Armen
(und zerstörten die einheimische
Kleiderherstellung)
und Weißbrot und Reis
und Weizen
zu den Armen,
Hungernden
und sie wurden immer hungriger,
bis sie nicht mehr Entwicklungsempfänger
sein wollten
und aufbegehrten
und nicht mehr befreite entkolonisierte
Kolonien sein wollten.

Und wir,
sind wir immer noch
amerikanisiert
glücklich?

Und befeuern den Krieg

in der Ukraine

für die USA

und dort sterben

täglich Tausende

Soldaten?

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