Lyrisches von Helmut Maier

Meditation des Absurden

Dass Normales nicht normal ist,
ist absurd.
Dass Schönes hässlich ist,
ist absurd.
Dass Sprachen nicht Sprachen sind,
ist absurd.
Dass Klänge Missklänge sind,
ist absurd.

Dass Kinder nicht
Kinder sein dürfen,
dass kranke Menschen
zur Arbeit gehen müssen,
dass Menschen in Not
keine Hilfe bekommen,
das alles
ist doch absurd.

Dass Unnormales normal ist,
ist gewiss auch absurd.
Dass Menschen bestraft werden,
wenn sie nicht morden wollen,
ist doch absurd.
Dass Menschen Feinde sind,
weil es die öffentliche Meinung
ihnen sagt,
ist absurd.

Guantanamo
ist absurd.
Dass Kriege
Friedensmissionen heißen,
ist absurd.
Kriege sind
immer absurd.

Dass man Menschen
nicht warnen darf
vor Gefahren,
weil sie ja volljährig sind
und selber wissen können,
was sie tun,
das ist absurd.
Vor allem,
wenn sie sie dennoch
heraufbeschwören.

Dass Visionen
von einer besseren,
nicht absurden Welt
krank genannt werden
können:
das ist absurd.

Ist´s nicht absurd,
wenn man zum Schluss kommt,
dass unsere Welt
nicht absurd ist?

14 Kommentare

  1. Petros

    Du sprichst mir aus dem Herzen. In der letzten Strophe wäre mir allerdings ein Differenzieren angenehmer.

    Gruß
    Petros

  2. Paul Spinger

    Auch alle Utopien bleiben immer absurd, aber gerade deswegen werden sie gebraucht.

  3. manacur

    Wie Du es schreibst, lieber Helmut: „Die Welt ist nicht absurd.“
    Absurd ist höchstens, dass der Verstand des Einzelnen entgegen seiner Gewohnheit den gemachten Erfahrungen oft keinen Sinn, keine Bedeutung zu verleihen mag.
    Den Extremen in einer polaren/dualen Welt einen Sinn zuzuerkennen, erfordert eine Menge Philosophie, die Du wohl hast.
    LG
    Curt

  4. Helmut

    @Petros:
    Einfach mal vielen Dank für die Zustimmung. Die letzte Strophe kann natürlich nicht ohne die vorletzte verstanden werden!

    @Paul:
    Dass Utopien von vorneherein absurd wären, kann ich so nicht sehen. Gewiss werden sie von bestimmter Seite als absurd angesehen. Zu der Seite gehöre ich nicht – und Du, glaube ich, auch nicht (sonst würdest Du nicht sagen, sie würden gebraucht).

    @Curt:
    “Die Welt ist nicht absurd.” Das habe ich gesagt und nicht gesagt, je nachdem, ob man nur meine letzte Strophe liest oder sie mit der vorletzten zusammensieht: Dann sage ich: Unsere Welt muss nicht absurd sein.
    Ich glaube auch nicht, dass Absurdität Extremes darstellt, sondern Banales, auch banal Böses, dem ich Sinn nicht zuerkennen kann.

    Ich danke Euch dreien fürs Kommentieren. Was es bedeutet, dass nun (zunächst?) nur 3 M ä n n e r
    kommentiert haben, weiß ich nicht, fällt mir aber auf.

  5. excuses

    Warum nur Männer?
    Vielleicht weil die Damen Tag für Tag mit so vielem Absurden konfrontiert werden, dass sie ihre Freizeit nicht auch noch darüber reflektieren möchten *gr*

  6. Helmut

    Das fände ich schlimm!

  7. ELsa

    So, eine Frau meldet sich auch noch.

    Lieber Helmut, das ficht mich an und ich verstehe es einfach nicht: Dass Unnormales normal ist.

    wie du schreibst. Aber immer schon ist das so auf diesem Planeten. Das würde demnach bedeuten, dass wir die „Nomalität“ nur in unserer Fantasie kreieren, nicht wahr?

    Denn die Absurdität all dessen, was du in deinem Gedicht nennst, ist offensichtlich das Übliche.

    Lieben Gruß
    ELsa

  8. Helmut

    Liebe Elsa,

    „ich verstehe es einfach nicht: Dass Unnormales normal ist.
    wie du schreibst“

    Schreibe ich das? Ich schreibe, es sei a b s u r d ,
    ‚dass Unnormales (wie Guantanamo) normal ist‘ – in den Augen des Normalbürgers oder auch nur vieler Bürger, meine ich.
    Habe ich mich so schlecht ausgedrückt?

    Liebe Grüße
    Helmut

  9. quersatzein

    Was „normal“ ist, was „anormal“ und was „absurd“: Darauf werden wir nie eine gültige Antwort bekommen, also scheint es mir müssig, darüber zu sinnieren…

    Grüsse in die neue Woche,
    Brigitte

  10. ELsa

    Lieber Helmut,

    ICH habe mich falsch ausgedrückt, entschuldige.

    Ich verstehe natürlich deine Zeilen, ich verstehe die Menschen nicht, verstehst du?

    Dein Gedicht ist klar und richtig gut, es hat mich nur wieder einmal zu diesem Gedanken gebracht, warum es ist, wie es ist auf der Welt.

    Lieben Gruß
    ELsa

  11. Helmut

    @Elsa:
    (um mit Dir anzufangen, weil das vielleicht schneller geht – obwohl [oder weil?] ich Dir um den Hals fallen möchte vor Freude):
    Nein, Du hast Dich nicht falsch, höchstens für mich missverständlich ausgedrückt. Und die Frage, warum es ist, wie es ist auf der Welt, ist wirklich eine sehr tief schürfende, die ich gerne beantworten können möchte (was ich aber – natürlich? – nicht kann: was ich kann, ist jetzt, Dein Anliegen zu verstehen).

    @Brigitte:
    Ich nehme kaum an, dass Du das, was mit dem Stichwort Guantanamo umrissen ist, für normal halten kannst, liebe Brigitte.
    Ich gebe Dir gerne zu, dass es viele Dinge gibt, bei denen die Einschätzung, ob sie normal oder anormal oder gar absurd sind, zumindest nicht leicht fällt:
    Ob man die schweizerische oder bundesdeutsche Rechtschreibung ‚Grüsse‘ oder ‚Grüße‘ jeweils für normal hält oder nicht, darüber zu sinnieren ist wohl zwecklos.
    Bei anderen Dingen halte ich das weder für zweck- noch für sinnlos.
    Ich bin auf meine „Meditation des Absurden“ durch ein Theatererlebnis mit Ionescos „Unterrichtsstunde“ gebracht worden, einem Stück, das man zum von Ionesco auf die Bühne gebrachten „Theater des Absurden“ zählen kann.
    Der Professor in dem Stück hat eine Schülerin, die innerhalb von drei Wochen den universellen Doktorgrad erreichen will – bei einem Professor, der als Universalprofessor erscheint: beides mit Sicherheit absurde Voraussetzungen, die sich mit weiteren Absurditäten anreichern: dass eine einfache Addition durch die Schülerin als Beweis für ihre Genialität gilt, sie aber bei der einfachsten Subtraktionsaufgabe scheitert, dass der Professor sich in die Darstellung seiner abstrusen Sprachwissenschaft der „neospanischen“ Sprachen wie Französisch, Rumänisch usw. hineinsteigert und dabei die Studentin in ihren – natürlichen – Problemen nicht sieht: alles absurd, was schließlich zur (allerdings routinemäßigen) Katastrophe führt.

    Ich habe in meinem Text versucht, diesen Blick auf eine absurde Welt auf unsere mindestens in Vielem absurd erscheinende Welt anzuwenden, und finde, dass es notwendig im wahrsten Sinne ist, das zu tun; denn sonst können wir nicht eine bessere Welt aufbauen oder (vielleicht eher im Sinne der Existenzialisten:) mindestens so leben, wie wir es mit unserem Gewissen vereinbaren können, das nicht durch absurde Normalität verdorben worden ist.

    Ich danke Euch beiden, Elsa und Brigitte, für Eure Kommentare
    und grüße Euch herzlich
    Helmut

  12. quersatzein

    Lieber Helmut

    Wahrscheinlich haben wir nur ein sprachliches Problem. Mir leuchtet ein, was du meinst, und wenn du Missstände, Ungerechtigeiten oder kurz: das Schlechte und Boshafte in dieser Welt mit „absurd“ oder „nicht normal“ bezeichnen willst, kann ich dir zwar folgen, doch ich würde solche Verhaltensweisen als „ungerecht, schlecht, böse oder falsch“ bezeichnen (und dagegen muss man selbstverständlich angehen), aber keinesfalls als „absurd“.

    In diesem Sinne Dank und Gruss
    Brigitte

  13. ELsa

    Lieber Helmut,

    Ich falle dir auch um den Hals. Gut, dass wir das klären konnten.

    Herzliche Grüße,
    ELsa

  14. Helmut

    Liebe Elsa,

    ich umarme Dich
    und grüße Dich

    Helmut

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