Lyrisches von Helmut Maier

Aphorismus

Militärisches Denken ist ein Fehler;
und dieser Fehler ist System.
Das System, Hilflosigkeit
durch Allmachtsglaube zu begegnen.

21 Kommentare

  1. quersatzein

    Lieber Helmut

    Verzeih, dass ich dir widersprechen muss – nicht wegen des Inhalts, dagegen möchte ich absolut nichts einwenden – aber wegen der Form: Dein Text ist kein Aphorismus, sondern eine (wie bei einem Gedicht, in Zeilen gebrochene) Aussage. Ein Gedicht ist es aber auch nicht.
    Aphorismen sind prägnante, knappe Formulierungen eines Gedankens, eines Urteils oder einer Lebensweisheit, die, soviel ich weiss, immer in Prosa verfasst sind.

    Noch etwas Allgemeines zur Begründung meines Einwandes: Als Lyrikerin bin ich allergisch dagegen, dass auf so vielen sog. Lyrikseiten alles, aber auch wirklich alles in Verse gebrochen wird und als Gedicht ausgegeben wird: Betrachtungen, Gedanken, Beschreibungen, Ratschläge, Befindlichkeiten. Sehr vieles, was im Netz (und nicht nur dort) als Gedicht ausgegeben wird, hat mit ernsthafter Dichtung nichts, aber auch wirklich nichts zu tun! Kein Wunder, dass die Lyrik immer mehr unter Verruf gerät!

    Nun, da ich meinem diesbezüglichen Ärger Luft gemacht habe, möchte ich betonen, dass er allgemeiner Natur ist, und sich nicht gegen dich wendet, Helmut. Es ist nur so, dass ich mich, wo immer ich kann, dagegen wehre, dass Lyrik in diesem Sinne „missbraucht“ wird.

    Sei trotzdem sehr lieb gegrüsst!
    Brigitte

  2. petros

    Verzeih, liebe Quersatzerin, dass ein Freizeitpoet wie ich, das Wort an dich richtet. Nicht das ich dir widersprechen könnte, denn dein Urteil fällst du nach deinem Wertmaßstab. So ist auch aus deiner Sicht alles richtig gesagt und damit wahr.

    Und Wahrheiten gibt es so viele, wie es Menschen auf Erden gibt, und als anerkannt wahr gilt nicht zuletzt in Kunst und Kultur im allgemeinen das, was gerade IN ist. So gab es im dritten Reich z.B. „entartete Kunst“.

    Und bitte kläre mich auf, was in ernsthafter Lyrik anderes in Worten abgebildet wird als Betrachtungen, Gedanken, Beschreibungen, Ratschläge, Befindlichkeiten.

    Und was ist denn ernsthafte Lyrik eigenltich?
    Ist z.B. naive Kunst keine Kunst?

    Ich bin sehr wissbegierig. Weil: Ich weiß nicht wirklich was Lyrik ist. Was ich hier schreibe, tanzt mir einfach aus dem Herzen. (So steht es im Header meines Bloghauses.

    LG
    Petros

  3. quersatzein

    Lieber Helmut

    Hoffentlich erlaubst du es, dass wir auf deinem Blog unsere Ansichten über Lyrik austauschen. Falls nicht, darfst du die Einträge gerne löschen und ich werde mich direkt an Petros wenden.

    Lieber Petros

    Das habe ich mir schon gedacht, dass sich Widerspruch oder gar Entrüstung regen würde.
    Zuerst mal provokativ gefragt: Wenn du nicht wirklich weisst, was Lyrik ist, weshalb schreibst du dann welche?
    Aber nun ernsthaft: Darin hast du sicher Recht, dass vom Gedanken bis zur Befindlichkeit alles in einem Gedicht stehen darf. Ein Gedanke, eine Befindlichkeit allein oder auch das, was einem „einfach aus dem Herzen tanzt“, machen aber noch lange kein „Gedicht“ aus. Das ist übrigens nicht nur meine Meinung.
    So schrieb kürzlich eine mir unbekannte „Schriftstellerkollegin“ (es ist ein Teil ihres Kommentars auf einen unbedarften Blogeintrag):

    „Denn was verstehen diese Leute unter „Gedicht“? Haben sie sich mit Versmass beschäftigt, mit dem, was ein Gedicht ausmacht, der Form?
    O nein, davon sind die meisten weit entfernt. Sie machen einfach nach ein paar Wörtern einen Absatz, und wenn sie dann zehn oder zwanzig Zeilen geschrieben haben, ist es ein ‚Gedicht‘.“

    Aus meiner Sicht möchte ich ergänzen, dass Schreiben insgesamt (und davon ist die Lyrik nicht ausgenommen) Kriterien braucht sowie ein paar grundlegende Kenntnisse. Formale oder inhaltliche Einschränkungen gibt es meines Erachtens nicht, hingegen eine Reihe von Fehlleistungen, die man einem schlechten Gedicht ankreiden kann:

    – der Text verweigert sich der heutigen Zeit
    – im Text wird alles gesagt, der Leser/die Leserin kann keine eigenen Sinnbezüge herstellen
    – der Text ist nicht verdichtet, es ist reine Prosa
    – der Autor/die Autorin arbeitet mit verbrauchten Bildern (Metaphern)
    – der Text ist überladen, banal oder nichtssagend
    – der Inhalt ist unecht, verlogen
    dem Text fehlt die schöpferische Komponente
    etc.
    Einem guten Gedicht wird man keinen dieser Kritikpunkte anlasten können.

    Zum Schluss möchte ich noch die Dichterin Else Lasker-Schüler zu Wort kommen lassen. Ich zitiere:
    „Was nennt sich Dichter? Alles! Verse kann jeder schliesslich machen, aber ohne Kitsch auf die Felsen fliegen, und zwar auf keine Papiermaché Felsen – suchen Sie so einen Dichter…“

    LG
    Brigitte

  4. quersatzein

    P.S. Naive Kunst ist auch Kunst (sonst würde man sie nicht so bezeichnen), aber nicht jede naive „Pinselei“ ist Kunst.

  5. petros

    Helmut, bitte gestatte…

    Hallo Brigitte,
    na klar Regeln, na klar braucht die Lyrik sie und Qualifikation auch… aber muss man immer gleich maßregeln?
    Na klar, gibt es die große Lyrik, die kleine und unbedeutende und auch Pseudo-Lyrik, wie ich meine z.B. nenne, denn ich habe mich nur autodidaktisch mit der Theorie der Lyrik befasst.

    Ich frage mich (und das war der Grund meiner Reaktion) was jemanden bewegt, zu dem von Helmut geschriebenen Beitrag, sei es nun ein Aphorismus oder nicht, einen so abrechnenden Umgang mit all den Schreiberlingen zu pflegen, die ein wenig Freude empfinden, etwas zustande gebracht zu haben und ihre Texte versehentlich oder aus Euphorie einmal Gedicht nennen. Im militärischen Jargon könnte man das einen „Vernichtungsschlag“ *lächel* nennen.

    Gruß
    Petros

  6. Helmut

    Hallo ihr beiden,

    Das ist ja fantastisch, was Ihr da ausgetauscht habt. Ganz abgesehen, dass ich selber gar nicht mehr so viel antworten muss. Meines Erachtens habt Ihr viel Gemeinsames herausgearbeitet. Ich selber kann mich keinem von Euch beiden g a n z anschließen. Petros möchte ich insgesamt mehr zustimmen als Dir, Brigitte. Aber dass das hier möglicherweise nicht der Platz sei, anhand meines ‚Aphorismus‘ solch grundsätzliche Fragen zu diskutieren, glaube ich nicht. Im Gegenteil, es freut mich.
    Dass Lyrik wie der Aphorismus und andere Gattungen sich abzugrenzen versuchen müssen, ist mir klar. Das trägt auch zur Klarheit der Gedanken (und auch der Gefühle) bei. Da können wir uns nur von der Meisterin beraten lassen.
    Aber es gibt, meine ich, berechtigte Versuche, die Grenzen auch wieder zu überschreiten, die Möglichkeiten dazu mindestens auszuloten. Dass mein Text kein Aphorismus im klassischen Sinn ist, mag sein. Aber er hat doch vieles von ihm, hoffe ich. Und ich glaube nicht, dass Lyrik generell in Verruf gekommen ist. Vielleicht würde es dem Ruf der Lyrik mehr dienen, wenn die Regelhaftigkeit manchmal weniger herausgestellt wird und wir dem Volk aufs Maul schauen würden….
    Verzeihung, mein Enkelkind kommt gerade zum Essen. Vielleicht kann ich hier später weiter anknüpfen.

    Ganz liebe Grüße an Euch beide
    Helmut

    P.S. Die wichtigste Unterscheidung ist vielleicht nicht: richtige oder falsche, sondern gute und schlechte Lyrik

  7. @miro

    Hallo!

    Eure Diskussion finde ich interessant, auch wenn sie etwas unsystematisch vorkommt und viele Frage unbeantwortet lässt…mehr zustimmen könnte ich Brigitte aber sie könnte ich auch mehr kritisieren – hier werde ich nur ein Aspekt ansprechen:

    – der Autor/die Autorin arbeitet mit verbrauchten Bildern (Metaphern)

    Die Lyrik ist für mich die spezifische Form der ästhetischen Aneignung der Wirklichkeit der Menschen…sie ist entweder lebendig oder selbstgenügsam: die Sache mit den verbrauchten Bildern (Metaphern) also Worten ist für mich zwiespältig.
    Die Entscheidung dieses oder jenes Wort zu benutzen ist auch vom Klang abhängig oder vom Rhythmus oder… mich nur auf „unverbraucht“ zu stützen, wäre mir zu wenig oder manchmal einfach nicht angebracht, schlimmer noch könnte einem Text so einen gekünstelten anstrich geben.

    Der Text transportiert oder er tut dies nicht…es hängt vom Text und seiner Machart ab, seine Wirklichkeit muss sich erfüllen. Jeder Text ist eine Mischung von Textprinzipien (und es gibt unzählige)…der Text kippt im zu-viel, flacht im zu-wenig ab. Ein Gedicht ist ein geschlossenes System. In ihm wirken alle Textaspekte und Textebenen. Sie ergeben ein Ganzes. Aus dem Ganzen zeigt sich erst die Machart. Jeder Text hat sein eigenes Maß. Die Beachtung von allgemeinen Prinzipien ist sinnvoll – im individuellen Text können sie brauchbar (was sehr oft der fall ist), aber auch ungültig sein (was sich dann durch das Textprinzip bestimmt). Die Lyrik schreibt sich nicht nach Kochrezepten – die Zutaten und die Prinzipien der Kochkunst bleiben dennoch gültig.

    Ob verbrauchte oder unverbrauchte Worte, ob Rhythmus oder nicht: entscheidend sind für mich stets Bild und Empfindung, die in mir entstehen.

    LG
    @miro

  8. quersatzein

    Lieber Helmut, lieber Petros

    Ein Vernichtungsschlag sollte meine Argumentation keinesfalls sein. Sorry, wenn es diesen Anschein macht. Aber da ich gerne diskutiere, provoziere ich auch manchmal, um den Gesprächspartner aus der Reserve zu locken…
    Was dich betrifft, Petros: Mit meinen grundsätzlichen Argumenten wollte ich deine Texte bestimmt nicht abqualifizieren. Einen Grossteil davon darf man sicher eindeutig zur Lyrik zählen (und Grenzfälle kann man bei mir garantiert auch finden, da nehme ich mich nicht aus…). Mit „Pseudelyrik“ kann ich gar nichts anfangen. Aber mein Wunsch wäre, dass nicht jeder Text gleich in Gedichtform gepresst wird. Warum denn nicht das, was man mit Herzblut schreibt – und das ist genau so wertvoll, wie ein nach allen Regeln gehandhabter Text – einfach als Prosatext verfassen.
    (Ihr beisst doch sicher auch lieber in ein Stück Brot, das als Brot verkauft wird und nicht als Kuchen – womit weder gegen Brot noch Kuchen etwas Abwertendes gesagt sein soll…)
    Ich plädiere für mehr Prosa (sie darf gerne auch poetisch sein) und einen bewussteren Umgang mit dem Genre Gedicht. Das ist alles.

    Mit kollegialen Grüssen an euch beide
    Brigitte

  9. Helmut Maier

    Hallo Brigitte,

    Ich will vorläufig nicht mehr viel anfügen. Ich denke, das meiste ist irgendwo gesagt. Aber vielleicht hast Du bemerkt, dass ich die Kategorien, unter denen meine Texte abgespeichert sind, durchaus getrennt habe nach (meiner Meinung nach: reiner)Lyrik, der Spiegel u.ä.-Ecke und neuestens (als Versuch) den (vielleicht noch zu erwartenden) Aphorismen. Dass ich die Grenzen der Lyrik vielleicht der Form nach eher ausgeweitet sehen will als Du ist vielleicht allerdings eher ein Streit im Elfenbeinturm.
    Jedenfalls habe ich mich über Eure Auseinandersetzung/Wiederzusammensetzung (an die ich mich ja bloß mehr oder weniger angehängt habe) sehr gefreut, weil sie von großer Lebendigkeit zeugt.

    Ganz herzlich liebe Grüße
    Helmut

  10. Helmut Maier

    Hallo miro,

    Schön dass Du Dich auch eingemischt hast (ich habe Deinen Kommentar erst zur Freigabe vorgefunden, als ich den Kommentar von 21.31 Uhr fertig hatte).
    Die Definition „Die Lyrik ist für mich die spezifische Form der ästhetischen Aneignung der Wirklichkeit der Menschen“ ist sehr eingängig. Das Spezifikum ist es allerdings, worüber man sich trefflich streiten kann – und da ist noch die „Wirklichkeit“. Wie real oder irreal darf die sein? Es bleiben also, da stimme ich Dir zu, noch viele Fragen offen.

    Ganz liebe Grüße
    Helmut

  11. -ille-

    Ein freundliches Hallo
    und meine Gedanken

    Ein zierliches Wort ,
    welches den leisesten
    Gedanken umwirft,
    gibt es nicht.

    Worte bilden Ketten
    im schmucken freien Sinn

    Ein Wort spielt
    immer die erste Geige
    und die Sehnsucht rangiert
    den Gedanken in ein Thema
    so welches beim lesen Farbe
    von der Zunge tropft
    und verborgene Bilder leben.

    Freie Gedanken,
    lassen sich schwer
    in eine Regel stecken.

    Mit freundlichen Grüßen
    -ille-

  12. LillY

    Der Weg führte von petros hierher.
    Eine sehr interessante Diskussion, wobei man mir als Konsument zugestehen muss, ich lese, was gefällt. Ob nun im richtigen Versmaß, oder einfach aus der Seele geplaudert, ist mir in diesem Fall egal. Sobald Kunst akademisch wird, ist sie gekünstelt und für mich keine Kunst mehr, sondern nur mehr Krampf.
    Die Malerei eines engagierten 5 Jährigen finde ich ebenso gut, wie die Zeilen eines bemühten – wie soll ich jetzt sagen, Schreiberling?
    Wichtig ist doch vorallem, Geschriebenes verdaubar zu machen und es soll den Leser ansprechen.

    Lieben Gruß
    LillY

  13. Helmut Maier

    Hallo Ilse, (ich war kurz auf Deiner Seite)

    Danke für den Besuch und für den Beitrag zum Thema. Die ‚verborgenen Bilder‘ haben’s mir am meisten angetan.

    Ganz liebe Grüße
    Helmut

  14. mikel

    Ich bin froh, dass ich kein ernsthafter Lyriker bin

  15. Helmut

    Gesetzt den Fall, ich tadle mich …

    Nein, Mikel, diese Ironie hast Du nicht nötig.

    Liebe Grüße
    Helmut

  16. mikel

    eigentlich nicht, aber bei der Ernsthaftigkeit bin ich immer so ernst ,-)

  17. mikel

    Es passte Zu gut zum militärischen Denken

  18. Helmut

    Hallo LillY,

    Vielen Dank auch für Deinen Besuch und Deinen Zuspruch. Na ja, ganz einerlei ist es mit regelgerechter und aus der Seele geplauderter Lyrik oder Literatur (und swo auch in der bildenden Kunst) nicht, wie ein gerechter Widerspruch uns glauben machen möchte, oder?

    Viele liebe Grüße
    Helmut

  19. @miro

    „Ich blicke da selber nicht ganz durch, warum manche Kommentare extra von mir die Freigabe haben müssen (technisch gesehen) und andere nicht. Eigentlich ist es so, dass erstmaliges Kommentieren das wohl erfordert.“

    Hallo Helmut,

    leider ich war voreilig und daran habe ich nicht gedacht – wie doof von mir…

    freundliche Grüße
    @miro

  20. Helmut

    Hallo miro, ‚voreilig‘ musst Du Dir nicht vorwerfen, ‚doof‘ erst recht nicht:
    Technik kann aber wirklich doof sein – und wir erliegen ihr halt gar zu gerne.
    Lieber Gruß
    Helmut

    Hallo mikel,
    Nun sei nicht gar zu streng, weder mit Dir noch mit sonst jemand.

    An alle, die’s interessiert:
    In der 3./4. Zeile hatte ich eigentlich vorgehabt zu sagen:
    Das System, der Hilflosigkeit durch Allmachtsglaube zu begegnen.

    Durch den ‚lyrischen Kniff‘ des Zeilensprungs entstand bei Hörerin und Hörer durch Weglassen von ‚der‘:

    Das System Hilflosigkeit.

    Schon dadurch wäre meines Erachtens gerechtfertigt, den Text als Lyrik zu betrachten.

    Allen LeserInnen und Lesern wünsche ich ein schönes, gewaltfreies Wochenende

    Helmut

  21. mikel

    ach Helmut. Ich hör‘ ja schon auf.

    Der Diskussion was Lyrik ist und was nicht bin ich müde.
    Da wird nie nach vorn geschaut, nach neuer Ästhetik gesucht, gar neuen Formen, nach gemischtem, nach Work in Process, nach Lyrik für neue Medien, was weiß ich

    Und dann kommen sie und wissen schon alles, haben es schon immer gewusst das macht so müde

    Ich hab‘ mal ein Germanistikstudium deswegen geschmissen, aber das ist wohl mein Problem, Euch anderen hier ein schönes Winke-Winke

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