Alles Käse?
Wenn ich melke aus dem,
was hinter den Dingen liegt,
wie fasse ich diese Milch?
Sie zerrinnt mir
schon beim Erwachen,
schon wenn ich nüchtern
wieder geworden,
schon wenn ich in der Hand
die Dinge selber wieder fühle.
Dann zerrinnt sie mir
zwischen den tastenden Fingern.
Oder ich trinke sie
und versinke in der anderen Welt
und finde mich nimmer.
Am Käse nehme ich mir
endlich ein Beispiel.
Statt zu zerrinnen,
gerinnen in Festes
soll mir die heilige Milch.
Und wenn schon
aus Saurem geronnen,
so soll´s doch kein Quark sein.
Also in Form gebracht
reife der FORMATICUS,
der formaggio
der fromage
meiner Eingebungen
zum Gedicht
und sei eine köstliche Speise.
—
Lichtmess
Das letzte Warten hat begonnen.
Den Atem eines Neuen spür´ ich schon.
Er schlüpft in alle Poren,
begeistert Haut und Haare,
erwärmt das Innerste,
lässt neue Träume keimen
und neue Verse,
die das Licht schon spüren,
das sich in aller Heimlichkeit
ins Tagewerk einschleicht
und plötzlich strahlend scheint,
als wäre immer es gewesen.
Das letzte Warten,
das ist eins des Hoffens
auf ganz gewiss Erwartetes,
auf Schlüsselblumen, Lämmerhüpfen,
auf Maienduft, auf grünend
stetes Wachsen, auf Kraft
des Aufstehns und Inangriffnehmens.
Und letztes Warten ist es nur
im Wissen um ein Wiederkehrendes,
das keinen Leerlauf meint,
kein Hecheln hinter unerfüllter
und hemmend hinkend machender
und träge Dämmerung befördernder
Anford´rung her.
Befreit gebunden an das Leben,
ganz ungebunden an den Todeswillen,
geborgen in dem Glauben an
die glaubenlose Zuversicht
des sprühend in das Morgen Tanzens
im heutigen Genuss
des Kreisedrehens
und des Kreischens.
So lasst ein Lichtlein uns entzünden
und leuchten in die starren Räume.
So lasst uns ruhen in dem Dunkel,
dem immer neu das Licht
den Platz einräumt,
um neue Kraft zu schöpfen.
So lasst das Leben uns erneuen.
—
Frieden? (Impression in Cornwall)
Plötzlich wagt sich
das Rotkehlchen
in die Stube herein,
hüpft auf den Fernsehschrank,
verkündet den Frieden
des Artus,
flattert irritiert durch den Raum
und entflieht.
Da,
um zu versinken
ein Blau
zwischen des Plinius
Pinien
über den viktorianischen Dächern
von Fowey.
Der Wind treibt die Fähre
schneller zum Fußpfad.
Und schon
sammeln die Wolken
das Sonnengold
von den Wiesen der Klippen
und segeln dahin.
Kein Stäubchen trübt mehr
die Sterne.
Spüre ich da Avalon?
—
Herbst und Winter
Herbst und Winter.
Reife, Tod und ew´ger Kreis.
Voller Geheimnis.
—
Spaziergangzeit
Blüten die Fülle.
Gelb und weiß und violett.
Spaziergangwetter.
—
Zwischendurch
Die Wolkendecke.
Blauflächig aufgerissen.
Kein Regen in Sicht.
—
Ein Achtundzwanziger ”“ so nenne ich die folgenden kleinen Texte – ist ein Dreizeiler wie ein Haiku oder ein Senryu. Er hat aber nicht nur siebzehn Silben wie diese japanische Gedichtform, sondern achtundzwanzig Silben, was mehr Freiheit der Gestaltung zulässt. Das Schema ist dabei nicht wie beim Haiku 5 – 7 – 5 Silben, sondern 8 – 9 – 11 Silben. Der Achtundzwanziger ist auch nicht inhaltlich festgelegt auf Natur (wie der Haiku) oder auf Persönliches (wie der Senryu). Das lässt vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten zu, ohne auf die Festlegung auf Silbenlängen der Zeilen und so eine straffe Führung bei der Erstellung des Textes zu verzichten. Die Gedichtform des Achtundzwanzigers wurde von mir, Helmut Maier, entwickelt.
Es treibt*
Das Frühlingsgezweig der Bäume:
mehr und mehr wird es kecklich umtupft
mit einem Aquarell aus duftigem Grün.
*ein Achtundzwanziger
—
Frühjahrswunder*
Umrahmt von frischem Birkenflaum,
strukturbetont Geästegrafik.
Geheimnisvolle Schriftzeichenzauberei.
—
Das Lebensziel*
Unser Lebensweg ist das Ziel.
Oder machen wir Karriere,
um schließlich ein Ziel zu erreichen: den Tod?
*ein Achtundzwanziger
—
Situationsbedingt*
Draußen vor der Apotheke.
Bepackt voller Arzneischächtelchen.
Gegenüber vorher fühle ich mich krank.
*ein Achtundzwanziger
—
Glückwunsch
Wenn du einen Weg vor dir hast,
festen Schritt;
wenn du erschöpft bist,
die schöpferische Pause;
wenn du Schutz suchst,
das Schlupfloch der engen Pforte und
die runden Räume der Geborgenheit;
wenn dir´s zu eng wird,
die Weite des Feldes;
wenn dir der Überblick fehlt,
die Bergspitze und die klare Sicht;
wenn dir der Trubel zu groß wird,
ein paar Stunden alleine für dich;
wenn du dich einsam fühlst,
Menschen, die dich beglücken.
Das wünsche ich dir.
—
Was leider unter den Tisch fiel:
Alternative Fakten
Wir brauchen alternative Fakten.
Die Welt, wie sie ist,
ist nicht mehr
auszuhalten.
Politisch korrekt
ist das natürlich nicht.
Außer wir beschließen
die Umwertung aller Werte.
Dann ist Lüge Wahrheit.
Diktatur Demokratie,
Neoliberalismus Menschlichkeit,
die Nacht wird zum Tage,
der Tag hat achtundvierzig Stunden,
den Sommerschlussverkauf
gibt´s im Winter voraus,
Osterhasen werden
zu Weihnachten verkauft,
Krankheit wird
zur Gesundheit proklamiert.
Mir schwindelt.
Ich taumle.
Wo ist der Anfang,
wo ist das Ende?
Soll ich mich anpassen
an die rechten Populisten,
die den Mehrheitswillen
prognostizieren
als ihren Willen?
Die darin sehen
den Wert der Demokratie,
dass er sich durchsetzen lässt?
Die uns erlauben
politisch unkorrekt zu sein:
Ruhig rassistisch
dürfen wir uns gebärden,
illiberal,
inhuman
auf den eigenen Vorteil
allein bedacht,
unduldsam,
wenn etwas sich
unserem Ego entgegenstellt,
warum sollten wir
Gendergerechtigkeit üben?
Bio ist doch nur etwas
für die abgehobene Elite,
multikulturelle und pluralistische
Lebensart für die Wohlhabenden
auf ihren bequemen Sofas.
Völkischer Dominanz sich anschließen
heißt die Devise.
Das lehrt der Blick herab
vom treuen deutschen First.
Und morgen gehört uns Europa
und übermorgen ”¦?