Maier-Lyrik

Lyrisches von Helmut Maier

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Cucuron

Euern Schatten, den ihr spendet
rings um den Löschteich,
an dem zu sitzen die Zeit stehen lässt,
ihr ehrwürdigen Platanen
mit Eurem Laubdach – ich
genieße ihn gerne, bin
ihm so dankbar, wenn das Land
stöhnt unter der Hitze.

Was aber mich rührt zu Tränen,
ist etwas anderes, das
die blättervollen Zweige
nicht zu verhindern imstand sind
und ihre Spiegelung und die der Stämme
auf der Wasserfläche verzaubert:
das provenzalische Licht.

 -

Erklärung

„Brittas Tselan“ muss ich offenbar noch ein bisschen erklären:

Eine Frucht meiner kürzlichen Provencereise war auch, dass ich Zeit und Lust und Muße fand, ein Buch zu lesen, das ich schon sehr lange auf meinem Stapel nichtgelesener Bücher liegen gehabt hatte: Brigitta Eisenreich, Celans Kreidestern, Suhrkamp-Verlag Berlin 2010.

Brigitta Eisenreich war 10 Jahre lang in einer Verbindung mit Celan, die jahrelang geheimgehalten wurde, weil Celans Ehe durch sie nicht gefährdet werden sollte. In dem genannten Buch berichtet sie über diese Zeit und was sie für Celans Schaffen für eine Bedeutung hatte. Unter anderem erfuhr ich, dass Britta (so wurde sie normalerweise genannt) dafür eintrat, dass Celans Name korrekt deutsch ausgesprochen werden sollte, also Tselan, wobei wohl ursprünglich die Betonung auf der ersten Silbe lag, aber in Frankreich auf die zweite Silbe rutschte.

Eine wichtige Rolle im Leben Celans, das wird in dem Buch deutlich, ist seine Auseinandersetzung mit dem Judentum. Nicht der rein religiöse Aspekt war für Celan bedeutsam ”“ er war eigentlich Atheist ”“ aber das in der Nazizeit und auch der Geschichte davor durch die Juden erlittene Leid läuterte das Verhältnis der Juden zu Gut und Böse in einer Art und Weise, die Celan dazu führte, das Judentum als lebende Metapher für das Eintreten für Humanität in der Welt zu sehen. Das führte in dem Verhältnis Celans zu seiner Geliebten Britta schließlich dazu, dass er sie aufforderte, „verjude dich doch“ – wohl, weil er in der Beziehung da in dem sich bereits ankündigenden Ende unter einer schmerzlich erlebten Entfremdung litt ”“ was aber diese wohl eher noch verstärkte. Es ist ja auch nicht einfach den Begriff der Verjudung im Nazi-Jargon als Beschimpfung und den der humanistischen Metapher Celans auseinanderzuhalten.

Ich habe in meinem Gedicht versucht, diese Diskrepanz in unsere Gegenwart zu übertragen und wäre eigentlich sehr gespannt, ob dem jemand etwas abgewinnen könnte.

Um leichter zwischen dieser Erklärung und dem Gedicht hin- und herzuswitchen, hier der Link dorthin: https://www.maierlyrik.de/blog/2017/06/02/brittas-tselan/

Frühsommer in der Provence

Noch bevor es richtig Sommer wird
(gewiss ist es sommerlich hier,
dieses Himmelfahrtsfest in der Provence),
lösen sich hier und da
gelbe Blättchen aus dem grünen Gezweig
der luftigen Akazien heraus
und segeln herab zur Erde.

Ganze Schwärme werden’s mitunter,
jagt durch die Luft sie
eine stärkere Brise.
Der Schmetterling darin
fällt fast nicht auf …

Brittas Tselan

Was verlangt Paul Celan uns ab?
Uns zu verjuden?
Mit ähnlichem Recht müsste es heißen:
Werdet Syrer!
Werdet Somalis!
Werdet Eritreer!
Werdet Afghanen!
Werdet Nafris!
Werdet Schwarzafrikaner!
Werdet Palästinenser!
Werdet Asylanten!
Werdet Demokraten,
Freunde der Republik!
Bleibet nicht deutsch
nur!
Auf keinen Fall: nur!
Auf keinen Fall Juden
nur! Aber:
Freunde der Juden,
niemals ihre Feinde.

Werdet Mensch!
Wie Celan Verjudung
verstand –
ohne Judentum,
nein:
human und
im Leben
mit Gedichten.

Sollte es heute
mehr humane Gedichte
geben
als zu Celans Zeit,
wie glücklich wären wir da.

Wasserwege

Erlenbestanden hier und dort
die Ufer derWasserwege,
die hineilen zu den Meeren
aus den Alpen heraus
gleitend und rauschend,
gemächlich fließend
oder heftig tosend,
ihre Fracht verteilend
in alle Himmelsrichtungen.

Vielen Völkern begegnen
die Flüsse und Ströme,
doch jene, sind sie bewusst sich,
dass sie alle eingebunden sind
in das gleiche Muster
gemeinsamer Herkunft
und dem Auftrag gemeinsam
Empfangenes weiterzugeben
und den ewigen Kreislauf
mitzutragen, solange es ihn
in Stetigkeit gibt.

Provence*

Täglich wechselnder Metallglanz
am Westhimmel in der Provence.
Wie viele Winde kannte denn der Daudet?

*ein Achtundzwanziger

Patriotismus

Die Patriotisten
sprechen offen sich aus
für Remigration
in ruhigem Ton.

Wissen die denn,
wie die Weißen in
Amerika und Australien
zum Beispiel
fürchten,
dass die Ureinwohner dort
diese Forderung
zu übernehmen
bereit sein könnten?

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