Maier-Lyrik

Lyrisches von Helmut Maier

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Venedig

Ich holte mir vom inzwischen blauen Himmel
die feine Federwolke, die übrigblieb,
tauchte ihren Kiel in Tinte
und schrieb mit ihr
ein Gedicht über Venedig.

Und schon wirkte der Zauber:
Im Bäckerladen sah ich
auch rote Wecken liegen,
das Kind spielte
mit der Speisekarte im Lokal
liebreizend als Ort des Verbergens
für seine Spielfiguren
und für sein Gesicht.

Und wir fanden den Weg
zu San Marco
ohne Stadtplan
von unserer Ferienwohnung aus
in der Nähe vom Ospedale.

Das feine Rot

Das feine Rot in der weißen Blüte
vom Apfelbaum
am Pfarrhaus,
es strahlt so ein helles Licht aus
von Unendlichkeit
und ist doch jedes Jahr
ganz neu im Mai
oder schon im April.
Vorgestern noch:
ein leichtes Ahnen nur
von fast ausschließlich
geschlossenen Blüten.

Doch viele Jahre schon
besteht es immer wieder,
ganz anders als die Botschaft
des Pfarrers,
die Tausende von Jahren
so weiter angeblich gilt,
ganz ohne Pause,
immer.

Suchen und Sammeln*

Nach Blüten und Knollen dauernd
zu suchen und sie auch zu sammeln,
sollte schon immer der Menschen Begehr sein,

nicht nur der Frauen, nein, auch der Männer, und
ist ja im Frühling ganz neu wieder möglich.

* ein Janka

Am Bodensee

Am Ostermontag war ich am Bodensee,
dort wo man hinter dem Wasser
zuerst die Insel sieht, auf der Lindau liegt,
saß dort auf einer Baumwurzel
inmitten eines Kiesstrandes
und blickte auf die Sicht, die man dort hatte.

Hinter mir lud ein Cafe zum Schmausen ein,
vor mir stand auf einer Art Anlegestelle
eine Art Signalmast.
Links davon war der Pfänder zu sehen,
rechts neben der Insel kam gerade ein Schiff
auf das Eiland zu und in der Ferne
waren ein paar Häuser von Bregenz erkennbar.

Und noch weiter rechts sah man das Tal des Rheins
in Vorarlberg und in der Schweiz und in Liechtenstein
zwischen den Bergen sich erstrecken.

Noch weiter rechts lagen die Berge bis hin zum Säntis
hinter dem weiten Bodensee. Herrlich
war die Landschaft mit schneebedeckten
Gebirgen und leicht schon grünen Vorbergen.

Ich hatte das Gefühl von Urlaub
und sammelte merkwürdige Steinchen
vom Boden rings um meinen Platz.

Vom Sammeln

Einige Münzen hebe ich auf,
normale und Sonderprägungen,
sie nehmen an Wert zu, nicht wahr?
Alte Kalender zu Hauf,
ich will doch nachschauen können,
was vor vielen Jahren geschah,
ganz im persönlichen Bereich.
Alte Briefe, die mich erinnern,
wann meine Mutter
die Presswehen hatte
und in die Klinik fuhr
mit dem Taxi
und mich gebar.
Briefe auch mit schönen
Briefmarken oder Stempeln
oder seltsamen Aufdrucken.
Sind sie nicht kostbar?
Oder Biefchen, die ich selber schrieb,
als Zehnjähriger, wie könnte ich sie
wegwerfen?
Oder frühere Gedichte von mir.
Vielleicht werden sie eines Tages
doch noch veröffentlicht
in einem richtigen Verlag?

Und heute

Und heute
sind es wieder ziemlich viele
Schlüsselblümchen
und zwei Blüten der Primelchen
und auch einige des Scharbockskrauts
und wieder neue Osterglöckchen,
die kleinen, die den großen
Konkurrenz machen,
und überhaupt ist schon wieder
neues Gras da
und Moos
und ein Rotkehlchen,
das in der Hecke sitzt
und die beiden Kohlmeisen,
und schon vier Tage Frühling.

Frühlingsbeginn

Heut ist Frühlingsbeginn.
Lasst uns ihn preisen,
ihn loben und feiern.
Heut ist Frühlingsbeginn.
Was für ein Wunder
und jedes Jahr neu.
Lasst uns ihn bejubeln
und tanzen und singen:
Wir wollen ihn
bejauchzen, innig begrüßen,
ihm den Weg öffnen,
dem Frühlingsbeginn.

Beerdigung einer 109 Jahre alten Tante

Am Freitag war ich bei der Beerdigung meiner Tante Elfriede (Elle). 109 Jahre alt war sie. Lange ist das Leben (unter Umständen). Vor allem, wenn man halbseitig gelähmt ist.

Im unteren Himmel wurden
Wolkenpakete rasch verschoben.
Weit drüber standen Schäfchenwolken am Blau.

So am Donnerstag. Doch Regen am Freitag.

Aber für Tante Elle war es zeitweise so wie am Donnerstag.

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