Der goldene Hirsch schwebt den Himmel entlang.
Langsam lässt er die Wolken hinter sich.
Die ganze Kuppel darunter nimmt er mit.
Natürlich war es ganz anders herum,
vielleicht aber auch nicht.
Unten im Württembergischen Kunstverein
war eben der erste Teil des Erinnerungs-Festes
für den verstorbenen Winfried Wolf zuende gegangen,
für den Mann, der den Protest gegen Stuttgart 21
von Anfang an getragen hatte:
und da war so viel Unglaubliches vorgetragen worden:
so großartig Wunderbares, das dieser Mann
hinterlassen hatte, dass beides jetzt
(an der frischen Luft) möglich schien:
dass dieser goldene Hirsch
wirklich über den Himmel schwebte.
Kategorie: Neue Maier-Lyrik (Seite 8 von 15)
Im Dost-Feld
ein Gewirr von Wildbienen.
Plötzlich schert eine aus,
verlässt den Schwarm.
Sie schwingt sich hoch
zu einer der Nachtkerzenblüten.
Da kommt ein starker Wind auf,
schüttelt die Blüte
mit der Biene drin;
doch die verlässt fluchtartig
die Blüte,
verschwindet in der Nachbarblüte,
der Wind lässt nach.
In Ruhe bleibt die Biene
noch da drin!
Ach, durch Air Defender 23
ist meine Furcht
vor einem atomaren Krieg
nur sehr verstärkt worden.
Riesengroß war sie.
Und sie wurde ungeheuer.
Nun, da das Manöver
endlich vorbei war,
wurde der Schmerz
nur gelindert,
aber er blieb ”“ natürlich!
Und er bleibt.
Und durch die weiteren
Umstände schwindet er auch nicht:
Tausende Opfer
auf beiden Seiten
– täglich –
treiben ihn auf die Spitze.
Ach, nur durch Verhandlungen
könnte er gelöst werden.
Mit Air Defender 23
war Luftwaffen-Inspekteur Ingo Gerhartz
übermaßen zufrieden.
Was es uns schlaflose Nächte
bereitet hat, weil wir
den dritten Weltkrieg fürchten mussten,
war ihm wohl egal.
Und zum CO2-Ausstoß
machte er keine Angaben.
Die aber entsprachen mindestens
den Jahresemissionen eines deutschen 3.000-Einwohner-Dorfes.
Eine Mahnwache vor dem Fliegerhorst in Jagel
benannte aber die Umweltbelastungen.
Nun werden wir
das Dröhnen der Flugzeuge
öfter hören:
Das größte Luft-Lande-Manöver
der Nato
seit ihrem Bestehen.
Gegen Rußland.
Weil die ja allein die Bösen sind.
Und die US-Amerikaner
die bravsten Lämmer.
So sagt man es uns.
Unsere alte Aufzieh-Uhr,
Sie tickt und tickt so lang vor sich hin,
bis ich sie wieder dreizehnmal aufziehe.
*ein Achtundzwanziger
Umhüllt fast ganz vom Grün sind wir
zur Zeit auf unserer Terrasse;
es überwuchert uns schiergar mit Rosen.
Und ich bin so dankbar dafür, dass das
den Blick der Nachbarn beidseits auch begrenzt.
Vom Zug aus,
der nach Venedig fährt,
Blick auf die Lagune,
auf dem Damm nach den Inseln:
Der erste Campanile blinkt auf.
Dann vom Bahnhof
auf das Wasserboot:
die ersten Paläste
und kleinere Boote,
noch auf dem Canale Grande.
Rasch verlassen wir ihn,
der Weg führt einen kleineren
Kanal hinaus
in die Lagune
gegenüber der Begräbnisinsel
immer am Rande der Hauptinsel.
Wir sind da.
Wir finden unsere Wohnung
im dritten Stock:
mit schönem Interieur:
Sofas und Betten und Kunst.
Wir blicken hinaus
auf die enge Gasse,
die wieder ans Wasser führt
auf dem Platz an der Kirche.
Hier sind wir zu Hause.
Ein paar Tage lang.
Stufen gehen weit hinauf
an ein verschlossenes Tor.
Wäsche hängt unter den
zwei kunstvoll geschmückten
Spitzbogen auf Säulen.
Da hinten: die Gasse
wird durch einen Kanal
plötzlich beendet.
Wir sind dennoch auf dem Weg
nach San Marco
durch viele verworrene
Gässchen. Dort geht eine Brücke
über einen Kanal hinüber
auf einen Platz voller Paläste
mit vielen Balkönchen.
Dort aber eine Brücke,
die nur in ein Haus führt.
Vor jeder Haustüre hier: Boote!
Schließlich: Die Gegend von San Marco!
Und viele Bootsanlegestellen!
Und Restaurants und die Seufzerbrücke.
Plötzlich eine unüberschaubare Flut
von Touristen. Und der Dogenpalast!
Marmorüberschwemmt!
Weitere Inseln in der Lagune.
Wieder ein Campanile!
Laternen über Laternen!
Und Händler und Läden!
Und dann: d e r Campanile
von San Marco.
In Venedig sein.
Einfach sein.
Mit dem Wasserboot fahren.
Oder zu Fuß durch Venedig schlendern.
Einfach sein.
In Venedig aufwachen.
In einem Bistro frühstücken.
Den Weg vom Ospedale
nach San Marco
finden
ohne Stadtplan.
Einfach sein.
In der Menschenmenge am Rialto
sich einfach treiben lassen
auf die eine Seite des Canal Grande
oder auf die andere Seite.
Einfach sein.
Am Abend sich auf die
nächstbeste Kneipe einlassen.
Sehen, wie die Touristen
immer weniger werden.
Einfach dasein.
Und wenn die Sonne untergegangen ist,
einfach dableiben
und irgendwann ins Bett sinken,
dageblieben sein.