Ich glaube nicht, dass die dichtende Zunft Wirklichkeit verändern darf (und auch nicht will), wenn dabei eine Verfälschung der Wirklichkeit entsteht. “dicere”, von dem “Dichten” herkommt, deutet ja darauf hin, dass dabei etwas Wichtiges, Richtiges “gesagt” wird. Nur wer wirklich etwas zu sagen in der Lage ist, was Bestand hat, gehört zu den Dichterinnen und Dichtern. Es ist genau zu unterscheiden, inwiefern nur geschrieben oder gedichtet wird.
Das Verb “erdichten” dürfte also nicht benützt werden, wenn Wirklichkeit verfälscht, sondern wenn neue Wirklichkeit(en) geschaffen werden.
Da bin ich aber ganz anderer Meinung, Helmut.
Beim Dichten entsteht immer eine neue, bewusst und zugleich intuitiv geschaffene Wirklichkeit, die zwar nicht unbedingt verfälscht, aber auch nicht abbildet.
Wer nur Realität wiedergibt, ist bestenfalls ein Chronist.
Mit lieben Grüssen,
Brigitte
Ich glaube nicht, dass ich mit Dir da uneins bin, liebe Brigitte. Im Gegenteil: Bedenke doch meinen Konditionalsatz „…, w e n n dabei eine Verfälschung der Wirklichkeit entsteht.“ Dass beim Dichten sehr verschiedene Wirklichkeiten zum Zug kommen: die der realen Alltags-Welt und die neuer, oft alternativer Welten, heißt nicht, dass F a l s c he s zum Recht kommen darf, dass Wirklichkeit v e r f ä l s c h t wird.
Danke für Deinen spontanen Kommentar
und liebe Grüße
Helmut
es ist die Sprache der Lyrik, die es oft so aussehen läßt, als wäre die Wirklichkeit eine andere, doch der lyrische Ausdruck verfeinert mitunter, benutzt Metaphern, poetische Begriffe, die wirklichkeitsfremd scheinen und doch beschreibt alles diese Realtität, die auch der Dichtende sieht. Er erzählt von ihr aber in anderer Weise, manchmal eben sehr märchenhaft und träumend.
LG von Bruni
PS Es schneit und mir scheinen die kleinen weißen Flocken wie winzighelle KnisterKristalle, die der Himmel uns zur Feude ins Dunkel der Tage schickt *lächel*
Oh ja, liebe Bruni. Verwerfen wir ja nicht das Märchenhafte. Es bringt Kraft in die Alltags-Welt!
Danke für Deine schöne Intervention
und liebe Grüße
Helmut
Manchmal liest man eben seine eigene Wirklichkeit aus so einem Statement heraus. Aber wahrscheinlich liegen wir tatsächlich viel weniger weit auseinander mit unseren Einschätzungen, als ich zuerst annahm, Helmut.
Allerdings denke ich schon, dass die dichterische Wirklichkeit eine ganz andere, manchmal konträre, sein kann als die reale. Verfälschen, da hast du Recht, soll sie die Tatsachen dennoch nicht.
Herzlichen Dank jedenfalls für den Denkanstoss!
Und nochmals liebe Grüsse,
Brigitte
Gerne, liebe Brigitte.
Liebe Grüße auch zurück
Helmut
…diese worte lassen mich stutzig werden, lieber Helmut. was dichtung ist, sein kann und sein darf, ist doch durch die vergangenheit bis zum heutigen tage schon millionenfach in allen sprachen der welt, durch alle sparten des lebens hindurch, durch poetik entschlüsselt, katalosgisiert, enträtselt… wo willst du da den schraubenschlüssel anlegen? willst du auch die vergangenheit verändern, wenn dir die gegenwart veränderungsnötig – neu bewertbar – erscheint?
zitat: Nur wer wirklich etwas zu sagen in der Lage ist, was Bestand hat, gehört zu den Dichterinnen und Dichtern. Es ist genau zu unterscheiden, inwiefern nur geschrieben oder gedichtet wird.
so ein satz ist nur zu verstehen, wenn er mit beispielen unterlegt ist.
…ein wenig nachdenklich
mit herzlichen grüßen
gabriele
Was Dichtung ist, was Kunst, was Religion usw. – gibt nicht jede Generation aufs Neue ihre Antwort, verehrte Gabriele?
Und: eine Kurzüberlegung gibt wie ein Aphorismus Gelegenheit sich seine eigenen Gedanken zu machen, ohne dass vom Autor oder der Autorin Beispiele verlangt werden, nicht wahr?
Herzlichen Gruß
Helmut
ähnlich wie Brigitte bin ich am Wort „verfälschen“ hängengeblieben
ich glaube, die Sicht einer Lyrikerin/eines Lyrikers auf die Welt ist immer persönlich gefärbt, ohne dass bewusst verfälscht werden soll
und wer bewertet, was „Bestand“ hat? was also „wirkliche Dichtung“ ist?
zum Nachdenken regst du auf jeden Fall an mit deinen Zeilen, Helmut
lieben Gruß
Uta (die jetzt den Dezember nachliest, auch wenn sie wohl nicht überall kommentiert)
Natürlich, liebe Uta, ist Dichten wie Rezipieren subjektiv. Aber in der jeweiligen Subjektivität muss Aufrichtigkeit der Maßstab sein – ohne Falsch! Nicht verfälschen zu sollen will nichts anderes sagen.
Liebe Grüße
Helmut